Der Überfall

Es war im März 1918, als die Tage noch kurz waren. Schneeschmelze und Regen füllten die Gräben und Bäche reichlich mit Wasser. Reinhold Jacobs, damals etwa 15 Jahre alt, wurde von seiner Mutter nach Göhlen zu einer Beerdigung geschickt. Nach der Beerdigung blieb er noch eine Weile zum Kaffee und im Gespräch verlief die Zeit schneller als erwartet. So war es draußen schon dunkel, als er sich zu Fuß auf den Heimweg machte. Ausstaffiert mit Vaters Gehrock, Zylinder und Gehstock war er mit seinen 15 Jahren schon ein ganzer Mann. Zurück ging es am Rehhagen entlang nach Roden Socken und von da durch die Wiesen zur Strombrücke über die Rögnitz nach Menkendorf. Als er noch etwa 100 m von der Brücke entfernt war, vernahm er ein furchterregendes Getöse.

Mit Vorsicht und Bedacht näherte er sich der Brücke. Er mußte in der Dunkelheit allen Mut zusammennehmen, um die Brücke zu passieren. Als er mitten darauf war, wurde ihm der Zylinder vom Kopf gerissen und den Gehstock hielt auch jemand fest. Er riß in all dem Getöse den Stock wieder los, doch dieser flog in hohem Bogen weg. Ein paar Sätze, dann hatte er das Menkendorfer Ufer erreicht. Die letzten anderthalb Kilometer wurden im Endspurt in wenigen Minuten zurückgelegt. Zu Hause mußte die Mutter den Helden erst ein wenig beruhigen, bevor er einschlief.

Da er aber Hut und Stock nicht so einfach aufgeben wollte und andererseits auch neugierig war, machte er sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Strombrücke. Hier fand er auch des Rätsels Lösung. Die Rögnitz führte Hochwasser, das fast bis an die Brückenträger reichte. Das Wasser hatte irgendwo am Ufer einen großen Weidenbusch abgerissen und ihn auf die Brücke geschoben, weil er unten nicht mehr durchpaßte. Hier lag er auch am anderen Morgen noch und in seinen Zweigen hing der Zylinder. Der weggeschleuderte Stock lag am Ufer. Durch den Zufall, daß der Busch noch auf der Brücke lag, war der „Überfall" aufgeklärt.

Nach Walter Jacobs, Dorchronik Menkendorf 2001

Irrlichter

Es war ein ruhiger Herbstabend zu Beginn der 20er Jahre. Willi K. , damals noch ein junger Mann, hatte Besorgungen in Glaisin und trat in der Dunkelheit zu Fuß seinen Heimweg nach Menkendorf an. Der dunkle Wald lag hinter ihrn, er hatte die Menkendorfer Feldmark erreicht. Seitlich seines Weges lagen die Karenzer Wiesen, die damals noch nicht kultiviert waren, aber schon gemäht wurden, wo es möglich war. Hinter den Wiesen sah er ein Licht. In der Meinung, daß es aus den Menkendorfer Häusern käme, ging er darauf zu. Als er einige hundert Meter durch die Wiesen gegangen war, zogen Wolken vor den matt scheinenden Mond. Es wurde stockdunkel und das Licht war auch verschwunden. Nach einigen Schritten stand er im Wasser. Er ging ein Stück zurück und wechselte die Richtung, um wieder auf den Weg zu kommen. Aber weit gefehlt, er stand wieder vor dem Wasser. So ging es noch etliche Male. Mitternacht war vorüber und der Mond hatte sich unterdessen vollkommen verabschiedet. Unserem Wanderer blieb nichts anderes übrig, als auf seiner Halbinsel zu verweilen, bis der Morgen graute und die Umrisse erkennen ließ. Jetzt konnte er den Heimweg fortsetzen und hat nach kurzer Zeit sein Zuhause erreicht.

Dorflichter waren in den damaligen Zeiten aus der Entfernung recht selten zu sehen, denn es gab noch kein elektrisches Licht und damit auch keine Straßenbeleuchtung. Irrlichter, die aus dem Moor aufstiegen, hatten etwa die Leuchtkraft von Petroleumlampen oder Kerzen. Deshalb führten sie nachts manchen Wanderer in die Irre.

Nach Walter Jacobs, Dorfchronik Menkendorf 2001
Foto des Autors, aus "Die Wenden zwischen Elbe und Sude"

In der Spukstunde

In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg fuhr eine Frau aus Leussow an einem lauen Herbstabend mit dem Fahrrad nach Grebs, um Verwandte zu besuchen. Bei so einem Besuch wird viel erzählt und so kam man auch auf die aus der Gegend bekannten Spukgeschichten. Man erzählte, wie die Spukbrücke im Specken bei Eldena zu ihrem Namen kam, vom Räuber im Menkendorfer Burgwall mit den Kinderköpfen am Gürtel und vom Juchten-Amtmann, der bei Laupin mit seiner Kette durch den Wald brauste, daß es knisterte und krachte. Die Rede war auch davon, daß in Menkendorf zwischen den beiden Strombrücken des öfteren ein Schimmelreiter gesehen wurde, der seinen Kopf unter dem Arm trug.

Die Zeit verflog bei diesem Geplauder und die Frau kam erst spät auf den Heimweg. So ergab es sich, daß sie die beiden Strombrücken in der Gespensterstunde nach Mitternacht passieren mußte. Wenn man sich vorher noch ausgiebig mit Geistern und Gespenstern beschäftigt hat, sind einem solche Orte noch viel weniger geheuer. Als die gute Frau von Menkendorf über die Rögnitzbrücke gefahren war, hörte sie Stimmen. Sie stieg vom Fahrrad und lauschte. Alles war still. Sie ging weiter und wieder hörte sie Stimmen. Ihr Puls stieg und angespannt lauschte sie in die Dunkelheit. Es waren nur noch einige Schritte bis zur zweiten Brücke über den Ludwigsluster Kanal. Vorsichtig betrat sie die mit Bohlen abgedeckte Brücke. Jeder Schritt verursachte einen lauten hohlen Klang. Nach einigen Schritten begann es unter der Brücke zu kreischen und furchterregende Geräusche drangen an ihr Ohr. Jetzt gab es kein Halten mehr, im Laufschritt überquerte sie die Brücke. Plötzlich packte jemand ihren Schuh und hielt ihn fest. Die Frau schlüpfte aus ihrem Schuh, rannte über die Brücke, sprang aufs Fahrrad und raste eilends nach Hause. Sie kam gut an, nur einschlafen konnte sie lange nicht.

Am nächsten Morgen fuhr ihr Mann zur Spukbrücke. Er fand den Schuh mit dem Absatz zwischen den Bohlen eingeklemmt auf der Brücke. Die vermeintlichen Stimmen stammten vermutlich von einem Wildentenschwarm, der unter der Brücke ein ruhiges Plätzchen gefunden hatte. Der Krach entstand erst, als die Frau über die Brücke polterte und die Wildenten aufgeschreckt und mit Geschrei davonflogen.

Nach Walter Jacobs, Dorfchronik Menkendorf 2001